Freitag, 10. September 2010

TEARS IN HEAVEN

Ich trinke zuviel, ich weiss. Unbetäubt ist es nicht auszuhalten.
Vom reichlich holzverzierten Balkon aus scheinen die umliegenden Berge noch viel höher, gewaltiger.
Links leuchtet die Sprungschanze abwechselnd neonrot, -grün und
-blau, wohl ein Zugeständniss an die moderne, neue Welt, die ansonsten eher einen Bogen um diese Region gemacht zu haben scheint.
Ich bin dort, wo sie dir in Krachlederner und Dirndl nach dem Gelde trachten - Österreich.
Kein Plan hat mich hierher geführt, hat sich einfach so ergeben, die anderen Stationen meiner Reise -viele würden es wohl als Flucht bezeichnen- sagten mir irgendwie nicht zu. Immer und überall gab´s zu viele Erinnerungen, zu viele Menschen, zu viel Sonne, zu viel Strand oder zu viel von irgendwas.
Über Girona, Portbau, Perpignan, Marseille, Nizza, Monte Carlo, Ventimiglia, Alassio, Turin, Mailand, und schliesslich den Brenner hat´s mich hierher verschlagen.
Seit gut 3 Wochen sitze ich jeden Tag, jeden Abend auf dem Balkon und der Wunsch, mir Roller-Skates unter zu schnallen und die Schanze runter zu fahren, wird immer stärker, aber bei meinem Glück stell ich eh nur ´nen neuen Schanzenrekord auf und krieg ´nen Millionen-Vertrag von Red Bull.
Ich habe Todessehnsucht, das erste Mal in meinem nicht gerade ereignisarmen Leben ist es soweit - möchte einfach nur einschlafen und nie wieder aufwachen, alles soll einfach vorbei sein. Frieden.

Der Anruf kam um etwa 14 Uhr, ich war grad in einer Besprechung mit furchtbar wichtigen Menschen, die mir furchtbar unwichtige Dinge mitteilen wollten; mein Büro ist prima geeignet dafür, die schallisolierten Wände schlucken wirklich jeden Scheiss.
Krankenhaus San Pau? Nanu, was wollen die denn? Da war ich doch grad erst zur halbjährlichen Inspektion, nach der sie dir normalerweise mitteilen, dass du bei deinem Lebensstil eigentlich schon 30 Jahre tot sein müsstest.
Es geht nicht um mich? Sofort herkommen? Sofort?
Okay.
Taxi. Der Fahrer nervt, will über Fussball reden, ich nicht, ich will wissen, was los ist und versprech ihm 10 Euro extra, wenn er die Klappe hält und stattdessen ein bisschen Gas gibt.
Wer suchet, der findet - etwa 10 Minuten halt ich mich an das blöde Sprichwort und irre durch gefühlte tausend Gänge, klopfe hier und dort an Türen, wo aber nur Kopfschütteln zu ernten ist.
Endlich, da steht´s ja: Dr. Soundso Gonzalez Hastunichtgesehn, das muss er sein.
2 Minuten später wünsche ich, er sei´s nicht gewesen.
Was er mir zu sagen hätte, erfordere erstmal mein Hinsetzen und meine Personalien, man wolle schliesslich Verwechslungen ausschliessen.
Dann senkt er die Stimme, schaut mir in die Augen und erzählt mir was von einem Bus, einer Unachtsamkeit, vielen, vielen Verletzungen, den Rettungsversuchen und dem letztendlichen Scheitern derselben.
Tot? Beide?
Nicken.
Ich schaue mich sorgfältig um - aus Angst vor der Antwort frage ich nicht, ob ich bei der "versteckten Kamera" bin, sondern stehe einfach auf und gehe raus.
Da steht ein Kaffeeautomat in der Ecke , gut so. Zwar hab ich gar keinen Durst, aber das scheint mir momentan das Einzige zu sein, von dem ich weiss, wie man´s macht: Geld rauskramen, einwerfen, Getränk wählen, 1 Minute warten und feststellen, dass er wie alte Frau unter´m Arm schmeckt. Ich setze mich.
Mit dem Kaffee vermischen sich meine Tränen, die plötzlich die Wangen runterlaufen, stärker und immer schneller, immer mehr; kein herkömmliches Weinen, kein Schluchzen, kein Beben, sie laufen einfach nur.
Ich höre mein Herz klopfen, es rast, will wohl mein Hirn mit Blut und Sauerstoff versorgen, um das soeben Gehörte zu begreifen.
Soviel Blut gibt es auf der ganzen Welt nicht, lass es, Herz!
Raus hier!
Aber wohin?
Was jetzt machen?
Da ist ein Park, erstmal hinsetzen und eine rauchen. Mit zittrigen Fingern dreh ich ein Ungetüm, was jedem Jamaikaner zur Ehre gereicht hätte. Ohne Kraut, versteht sich.
Viele Zigaretten später steht urplötzlich ein kleines Mädchen vor mir, vielleicht 4 Jahre alt. In der Hand hält es einen leuchtend gelben Ball, der wohl unter die Bank gerollt war.
"Bist du traurig?" fragt es.
Aus meinen Gedanken gerissen schaue ich es an, da wird mir bewusst, dass ich nie mit meinem Kind zum Ball spielen in den Park werde gehen können, keine kleinen Patscher werden nach meiner Hand greifen, keine kindliche Neugier wird von meinen Erklärungen gestillt werden. Ich will ihr sagen, dass meine Freundin und mein Kind soeben gestorben sind, will irgendwas von Engeln und Himmel und diesen ganzen Schmonzes erzählen, aber ich sage nur, dass ich nicht traurig sei, sondern nur nachgedacht hätte.
"Ach so!" ruft sie und hüpft davon.
Elend, mir ist elend zumute, muss hier weg.
Aus dem anfänglichen Gehen wird ein Laufen, immer schneller renne ich durch die Strassen, ziellos...einfach nur laufen, den Körper spüren, den Geist ausschalten, der dich martert.
Wo soll ich hin? Wohin nur? Nach Hause, wo wir vor nichtmal 3 Stunden noch gemeinsam am Tisch gesessen haben, "der einzige Bauch, den man mit blossem Auge vom Mond aus sehen kann" und der Mensch, der sich so darauf gefreut hat, in ein paar Tagen Vater zu werden?
Ins Büro? Da sitzt Andrea (die Andere).
Ich rufe sie an, sie soll herkommen; ein Treffpunkt ist schnell ausgemacht - ein Cafe.
Derweil saufe ich mich durchs obere Spirituosenregal und bin schon relativ breit, als Andrea endlich eintrifft.
Jetzt wünsch ich mir, das so gekonnt und routiniert rüberbringen zu können wie Dr. Hastunichtgesehn. Der hat´s echt drauf gehabt habt. In jeder Firma gibt es ja solche Leute.
Was, Sie haben ein Problem mit Ihrem PC? Da fragense doch am besten mal den Meier ausser Personalabteilung, der kennt sich mit sowas aus.
Der Meier bei Todesfällen ist Dr. Hastunichgesehn, kein Ableben ist ihm zu schwierig, kein Verrecken zu schrecklich.
Scheisse, wie sag ich ihr das bloss? Und später Luisa? Und Jefe?
Ihre Mutter? Naja, das macht wohl das Krankenhaus, eine Sorge weniger.
Irgendwie bring ich´s hinter mich, zwar nicht so gekonnt wie Dr. Hastunichgesehn, aber mir verrecken ja schliesslich auch nicht täglich die Leute.
An den Rest des Tages kann ich mich nicht mehr erinnern.

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Den Rest gibt´s morgen oder übermorgen.
Dies werden die letzten Posts hier sein.
Demian ist tot, gestorben am 10.08.2010, mit Isabella und dem kleinen Damian, der nichtmal das Licht der Welt hat erblicken können.
Ich danke allen Wegbegleitern und zufällig Reingeschneiten für eure Aufmerksamkeit.
Anderthalb Jahre habe ich euch meine Welt aus Demian´s Sichtweise versucht näher zu bringen, mich an euren Post und Kommentaren erfreut (oder manchmal auch nicht).
Es ist genug.
Sorry

14 Kommentare:

Hijack hat gesagt…

:´-(

Kann gerade kaum was Sinnvolles schreiben. Bin so geschockt.

Sowas...ausgerechnet Dir. :´-(

Wünschte, mir fiele irgend etwas ein, was nicht Floskel ist, aber in so einer Situation ist alles Floskel. Daher lasse ich es.

Ich fühle mit Dir. Es tut mir so leid für Dich, unendlich leid. :-(

Anonym hat gesagt…

unendliches Beileid...

Silberblut hat gesagt…

Es tut mir so leid.

Es gibt nichts, dass ich sagen könnte...

Ich bin in Gedanken bei dir.

Yeah! hat gesagt…

Sitze seit 30 min und weis nicht was ... jetzt tut mir das rumgeflachse leid ...du bist mir so ans herzgewachsen, wir haben uns so mit gefreunt und jetzt zereist es mir fast das Herz.

Bringt garnichts ich weis aber ich bin von 26-30. in Wien und Salzburg, ich würde dir so gern eine Schulter an bieten und Blogcandy und CouchSurfing und alles für immer.

@>-->--------

Meine Gedanken sind bei dir
...bitte tu dir nichts an, auch wenn du nie wieder schreibst.

kralle hat gesagt…

Nee. Bitte sag das dass hier nich dein Ernst ist. Bitte...... Aber... :-( Scheisse.... Entschuldige. Könnte wirklich heulen... Das kann nur ne Verwechslung sein.... Danke Jörg, dass ich dich hier kennen lernen durfte.

In tiefer Trauer und Mitgefühl rolf.

Vielleicht findest du einmal den Weg in die kleine Schweiz. Dann schaue hier einfach vorbei, Meine Tür und mein Weinkeller ist für dich immer offen. Und entschuldige bitte, wenn ich manchmal ein wenig den Bogen bei dir überspannt haben sollte. es tut mir so leid. :-(

kralle hat gesagt…

Jörg.

Wenn du was brauchst oder sonst wie, du weist wie ich zu erreichen bin und wo.

Rolf

JULiANE hat gesagt…

Mir fehlen die Worte.
Scheiße.
Ich drück Dich' und wünsche Dir so sehr, dass Du die nächste Zeit überstehen wirst. Gib' nicht auf!
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Stärke.
Mach's gut!
Lieben Gruß,
Juliane

Moonica hat gesagt…

Auch mir fehlen die Worte... Ich ... mein Beileid.

Yuyu hat gesagt…

Mein tiefstes Beileid....finde keine Worte....

Wünsche dir Kraft!

Yuyu

Blossom hat gesagt…

Kraft und Schweigen.

daria hat gesagt…

Nein ... das kann, darf, soll nicht wahr sein.

Demian, es tut mir so schrecklich leid. Beileid ist nur ein schwaches Wort, kein Trost. Aber du sollst wissen, daß ich an dich denke.

Mika hat gesagt…

Oh Gott... oh Gott, Uncle D... was tut die Welt mit dir? :´-(((

Ich habe keine Worte, fühl mich wie betäubt. Sitz hier jetzt grad seit Minuten und heule. Finde absolut nichts zu sagen, was in etwa das trifft, was ich sagen will, deswegen lass ichs am besten ganz, du wirst es wissen.

- In stiller Trauer -

daria hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Worte sind hier nicht genug.
Ich schenke Dir meine Gedanken.

In stiller Trauer
Franziska Sternenzauber